LEO

20. Dezember ­2024

Himmel und Hölle

Da es das Kindl notfalls noch immer geschafft hatte, den Gabenschlitten auf magische Weise zu leeren, wenn die äußeren Umstände zu Lieferverzögerungen bis hin zur Unterbrechung von Lieferketten führten, unterbreiteten die Adelshäupter kurz vor dem Start der diesjährigen Ausfahrt dem Weihnachtsmann und dem Christkind ihren Herzensplan dazu: Vom Start an viel Romantik, unberührte Natur, ideale Zugbedingungen für den Schlittenadel, also ebenes, gerade ausreichend mit Schnee bedecktes Terrain, wie es sich in diesem Winter zum Beispiel auf den Waldwegen hinter ihrem Hof fand. Jedenfalls keinerlei „zugkräftige“ Strecken zum Auftakt, wie der Chef die brutal anstregende Anfahrt zum Gschwendnerhof vor zwei Jahren schönfärberisch umschrieben hatte. Der Vortrag der Wunschvorstellung verstummte kurz, damit die vom Adelsquartett Richtung Weihnachtsmann verschickten vorwurfsvollen Blicke ihr Wirkung voll entfalten konnten.

„Ach, war das malerisch damals – du erinnerst dich sicher noch daran, Kindl!“, nutzte der Weihnachtsmann träumerisch die Pause. „Diese einsame Fahrt durch den tief verschneiten Tann, und wie du dann das Licht des Vollmonds durch die Wolken brechen hast lassen, dazu dein Leise rieselt der Schnee …“

„… und wie du das Gruppenbild von uns Vieren völlig verwackelt hast? Extrem stimmungsvoll!“ konterte Lady Edelgunde giftig. „Außerdem ist es total unhöflich, Ausführungen anderer zu unterbrechen.“

Der Weihnachtsmann holte tief Luft, doch bevor sich ein längerer Disput entwickeln konnte, ermunterte das Christkind rasch die Adelshäupter weiterzumachen, es sei gespannt darauf, mehr zu den Plänen zu erfahren.

Lady Edelgunde

Also: Keine sich zufällig über die königlich-festliche Hutkreation, über Frisuren und kunstvoll aufgetragene Weihnachts-Maskara entleerenden Äste (die Damen nickten sich einvernehmlich zu, den Weihnachtsmann ostentativ aus ihrem Einvernehmen ausgrenzend), stattdessen verzauberte Lichtungen im Mondenschein, auf denen das Rotwild sein Futter aus den Raufen zieht – kurz: Eine Stimmung auf der Fahrt zur Bescherung, die neben Innigkeit gerne einen Hauch von Kitsch beinhalten durfte. Ja, sie wüssten, dass eine Menge Arbeit vor ihnen lag, aber damals, als es den ausgiebigen Aufenthalt im bauchhoch verschneiten Gschwendnerhof gab, hatte das Kindl beruhigend betont: „Du schaffst das schon, lieber Weihnachtsmann“.

Der zwar nicht ausgesprochene, aber deutlich spürbare weitere Vorwurf in der an dieser Stelle eingestreuten nächsten Vortragspause, ging eindeutig an das Christkind: Mit keinem Wort hatte es den wichtigen Beitrag der Adelshäupter zum Gelingen der Gabenverteilung in der verbliebenen, knappen Zeit erwähnt, mit keiner Silbe ihre Sorgen zerstreut, dass sie unter diesem enormen Stress kolabieren könnten! Diese Vernachlässigung war weder vergeben, noch vergessen – Chistkind samt himmlischem Lächeln hin oder her. Da sich das Kindl zum Ärger der Adelshäupter offenkundig zu keinem Kommentar bemüßigt sah, nahm die Queen den Faden wieder auf und schloss das Projekt in einem knappen Satz ab: Wieviel besser würden sie es mit vereinten Kräften nach einem derart unvergleichlichen Auftakt schaffen!

„So wunderbar weihnachtlich, wie das klingt, sollten wir eueren Plan unbedingt umsetzen und wir sollten die Geschenkeauslieferung mit unserem harmonischen Team in der Tat auch dieses Mal schaffen.“ Das Christkind strahlte die vier Adelshäupter so friedlich-fröhlich an, als hätte es die an seine Adresse gerichtete Spitze überhaupt nicht mitbekommen.

Auch wenn der Mond in der Weihnachtsnacht nicht voll, sondern nur als schräg am Himmel hängende Sichel strahlte: Der Aufbruch des Gespanns in die winterlich früh hereingebrochene Dämmerung zeigte sich samtig lilablau, die Sterne funkelten ungetrübt von irgendwelchen Wolken und die Schneedecke warf das Funkeln blendend zurück. Selbst von hier, unmittelbar am Haus, war im märchenhaften Halbdunkel jedes Detail des in einiger Entfernung sich erhebenden weihnachtlich glänzenden Waldes mühelos erkennbar.

„Zufrieden?“ fragte das Christkind von seinem erhöhten Schlittensitz herab.

„Perfekt!“ Die Adelshäupter waren sichtlich beeindruckt. Sie spürten kaum die Last des hoch bepackten Schlittens, als sie sich, ohne, dass der Weihnachtsmann sie dazu auffordern musste, ins Zaumzeug legten und der silbernen Spur folgten, die sie in den Wald führte. Keine krumme Wurzel, kein verwehtes Schlagloch, kein Stein erschütterten das Gespann oder den Schlitten mit seinem wertvollen Inhalt, die Geschenke verharrten wie festgeschnürt in ihrer Lage. Als sie in den Wald einbogen, machte die lichte Weite der Wiesen dem intimen Dämmer der eng stehenden Bäume Platz. Umso stärker hob sich das von oben beleuchtete Schneeband ihres Weges hervor.

„Hört ihr es auch? Vermutlich eher nicht, es hat nicht jeder mein feines Gehör.“

Schlittenfahrt

„Wir hören es auch, Edelgunde.“, korrigierten die drei anderen Adelshäupter die Lady, unwirsch, dass sie von ihr aus ihren Träumen inmitten des sie einhüllenden Naturschauspiels gerissen wurden.

Ein sanftes, sich langsam steigerndes Schwingen erklang aus den Tiefen des Waldes, bis es für ausgebildete wie normale Hörorgane erkennbar wurde, dass eine liebliche, heitere Musik durch den Wald in ihre Ohren schwebte. Glockenspiel klang auf, sogar Hufetraben – sicher von Rentieren! – entstieg dieser Musik. Die Adelshäupter waren sich sicher, diese Musik schon einmal im Haus des Weihnachtsmanns gehört zu haben. Es handelte sich eindeutig um – ihre zurückgewandten Blicke fielen auf das ein imaginäres Orchester dirigierende Kindl – das wunschgemäß ergänzte:

Eine musikalische Schlittenfahrt. Lady Edelgunde hat sie sicher erkannt und wollte nur aus Feinfühligkeit nicht gleich damit herausplatzen. Für die musikalisch nicht ganz so Gebildeten (,Für mich also’, murmelte der Weihnachtsmann unter Schulterzucken): Ein Divertimento in F-Dur, komponiert im Dezember 1755 von Leopold Mozart, dem Vater vom genialen Wolferl.“

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Das Christkind hatte während seiner Erklärungen nicht einen Moment aufgehört seine geheimnisvollen Orchestermitglieder zusammenzuhalten. Dirigierte es die Bäume? Brachte es den Schnee zum Klingen? Vereinigten die Sterne unter seinem Taktstock ihre Sphärenklänge mal zu zarten, mal zu schmissigen Melodien? Die Adelshäupter setzten sich und den Schlitten ganz vorsichtig wieder in Bewegung, verfielen unweigerlich beim Menuett und den Deutschen Tänzen in grazile Schrittfolgen und stießen nach dem Ende der Serenade einen tiefen, bedauernden Seufzer aus.

„Mir hatte schlicht die Musik in eurem ansonsten so abgerundeten Arrangement gefehlt.“

Nicht einmal den Adelshäuptern fiel darauf eine ergänzende Bemerkung ein, sie nickten nur ergriffen.

Wie um diese Aufführung abzuschließen, vollzog die Trasse zwei Kehren, sie fuhren in einen Hochwald ein, der kaum Licht durchließ. Die Bäume links und rechts rückten enger zusammen, die Hufe glitten auf der nun glatteren und härteren Piste immer wieder aus. „Fast ein wenig unheimlich“ kommentierte Sir Quirin den Szenenwechsel halblaut. Statt lieblicher Musik, drangen, mal lauter, mal leiser, Grunzlaute an die Ohren des Gespanns.

(Fortsetzung im morgigen Türchen)

Text: © Kili Riethmayer
Bilder: © Doris Lettmann

Für den Fall, dass Ihnen die Episode Spaß gemacht hat, finden Sie mehr von den Adelshäuptern, dem Weihnachtsmann und dem Kindl unter den nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010), Schöne Bescherung (2011), Die Überraschung (2012), Das Weihnachtsessen (2013), Aushilfskräfte (2014), Der Herzenswunsch (2015), Die Panne (2016) (Teil 1), Die Panne (2016) (Teil 2), Glühwein (2017) (Teil 1), Glühwein (2017) (Teil 2), Entzückend! (2018) (Teil 1), Entzückend! (2018) (Teil 2), Freue dich! (2019) (Teil 1), Freue dich! (2019) (Teil 2), Kumpels (2022) (Teil 1), Kumpels (2022) (Teil 2), Eine melodische Bescherung (2023) (Teil 1), Eine melodische Bescherung (2023) (Teil 2), Eine melodische Bescherung (2023) (Teil 3), Eine melodische Bescherung (2023) (Teil 4)

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