Vorbemerkung: Vielleicht erinnert sich der eine oder andere regelmäßige
Besucher unseres Adventkalenders noch an die Geschichte Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010) des vergangenen Jahres, die sich um das (Christ)Kindl, den Weihnachtsmann und seine vier Rentiere,
die Adelshäupter rankte - hier eine weitere Episode dazu, quasi die
Vorgeschichte.
Schöne Bescherung
In diesem Jahr verliefen die Vorweihnachtstage wie gewohnt: Der
Weihnachtsmann kramte in seinem Lager, in dem er alle Weihnachtsgeschenke
in zahllosen Regalen sammelte und sortierte, bevor sie in
ausgeklügelter Reihenfolge auf den Schlitten wanderten. Er kam und
kam nicht zum Ende. Die Stirn in tiefe Falten gelegt, seufzte er in seine
Liste hinein. Es war einfach nicht möglich!
Er hatte das vorderste Regal, dessen Inhalt er gerade auf den Schlitten
schichten wollte, wiederholt kontrolliert. Wie konnte es dann sein, dass ...
Ein zorniges Surren riss ihn aus seinem ratlosen Grübeln. Das Surren ertönte
unfraglich aus dem Raum neben dem Lager, dem Wohnzimmer. Das Wohnzimmer
gehörte den vier Rentieren des Weihnachtsmanns. Natürlich handelte es
sich nicht einfach um „irgendwelche” Rentiere. Dies würde beim
Weihnachtsmann auch niemand erwarten. Es handelte sich um die Adelshäupter,
wie sich die edlen Renner selbst bezeichneten: Die Queen, King Irenäus,
Lady Edelgunde und Sir Quirin. Die Queen hatte es nicht für nötig
empfunden, sich einen Namen zu wählen, denn sie war die Queen
schlechthin. Und dass Adelshäupter nicht einfach einen Stall bewohnen,
sondern ein behaglich hergerichtetes Wohnzimmer, dürfte ebenfalls klar
sein.
Da der Weihnachtsmann bereits in seiner Konzentration gestört war, konnte
er sich ebensogut darum kümmern, die Ursache für das widerliche Geräusch
zu erkunden. Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Ein Bild weihnachtlicher
Beschaulichkeit bot sich ihm: Die Queen und Lady Edelgunde saßen heiter
plaudernd vor den
Teilen eines Puzzles, das in ferner Zukunft einen Weihnachtsschlitten mit
einem fröhlichen Weihnachtsmann und vier eingespannten Rentieren zeigen
würde; King Irenäus
und Sir Quirin lagen bequem auf den Boden gebreitet; und das Christkind, das
wie üblich kurz vor Weihnachten auf dem schönen Gut des
Weihnachtsmanns eingetroffen war, schwebte auf seiner Sitzwolke und
sang mit seiner glockenhellen
Stimme ein Weihnachtslied. Das nur gestört wurde durch das hässliche
Surren. Das vom Boden herrührte. Genauer gesagt, von zwei Rennwagen, die
über eine Rennbahn flitzten, und deren Steuerung die beiden
männlichen Adelshäupter in Händen hielten.
„Ist das ...” hob der Weihnachtsmann an zu fragen.
„Pssst!!” wurde er von King und Sir unwillig zu Räson und Ruhe gebracht.
In diesem
Moment trug es den Renner des Kings, der einen deutlichen Vorsprung vor
demjenigen Sir Quirins aufwies, aus der Kurve. Die Krone, die das Haupt
Kings Irenäus' bedeckte, warf funkelnde Blitze durch den Raum, als er den
Kopf hob. Der King stieß nur ein einziges Wort hervor, doch dies in einer Weise,
die die Schuldzuweisung einer ganzen Rede in sich vereinte:
„Du!”
Der Weihnachtsmann zuckte zusammen. Doch dann stieg der Unmut geballt in ihm
auf. Mit mühsam kontrollierter Stimme sagte er:
„Sind dies vielleicht das Puzzle und die Autobahn, die mir im vordersten Regal
fehlen?”
„Nein, Chef!” sagte der Sir „Die Sachen stammen aus dem hintersten Regal.”
„Und wer hat euch genehmigt, irgendetwas aus welchem Regal auch immer zu nehmen,
und meine Vorbereitungen dadurch zu stören?!”
„Das Kindl!”
Vier Vorderläufe deuteten einträchtig auf das Christkind. Der Weihnachtsmann
stemmte die Fäuste in seine mäßig ausgebildete Taille und
wandte sich dem Kindl zu.
„Ach ja?”
„Sie haben so gebettelt. Ist ja auch schwer, wenn einem langweilig ist und
nebenan Regale voll mit Gaben stehen. Da habe ich ihnen erlaubt zwei Sachen
aus dem letzten Regal zu nehmen, weil du noch weit davon entfernt bist, die
Geschenke daraus zu brauchen. Ich werde sie rechtzeitig wieder in den
Originalzustand überführen. Versprochen!”
„Und wie kommt es, dass mir gerade eine solche Autobahn und ein solches Puzzle
im ersten Regal fehlen?”
Vier Augenpaare richteten sich auf Lady Edelgunde. Diese hob
unschuldsvoll-verwirrt die Lider und bedachte den Weihnachtsmann mit naivem
Blick:
„Oh, da muss ich wohl Vorn und Hinten in deinem Lager verwechselt haben.
Ich bin natürlich untröstlich darüber.” Ein Gefühl, das man
ihrer Stimme auch beim größten Bemühen nicht entnehmen konnte.
„Du warst ganz einfach zu bequem, weiter hinter nachzuschauen, du, du
...”
„Keine unziemlichen Worte in unsere adeligen Ohren - du weißt, wie
empfindsam wir sind!”
Der Weihnachtsmann verschwand, eine Reihe unziemlicher Gedanken in seinem
Kopf wälzend, wieder in seinem Lager, um Rennbahn und Puzzle aus dem
hintersten Regal zu besorgen.
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Im Gegensatz zu den kleinen Unregelmäßigkeiten bei den Vorbereitungen, verliefen
Ausfahrt und Verteilung der Gaben geradezu langweilig
unproblematisch. Nach der Rückkehr entwickelte sich im Haus des
Weihnachtsmann eine fröhlich-aufgeregte Feststimmung.
„Ich denke, wir sind soweit!” Der Weihnachtsmann klatschte in die Hände.
„Wir können den Einzug beginnen.”
Da dem Kindl ganz spezielle Methoden zur Verfügung standen, um die
Kerzen des Weihnachtsbaums zu entzünden, brauchte niemand das
Weihnachtszimmer vorab zu betreten.
„Einen Moment noch” sagte Lady Edelgunde. „Wo ist denn nur ..., wo habe ich
denn ...”
Wie ein Irrwisch fegte sie den Flur entlang, ins Bad, ins
Wohnzimmer, brachte dort die leidliche Ordnung hastig stöbernd
durcheinander, eilte ins Lager, um sich gleich darauf durch die erstaunte
Festschar hindurchzudrängen, und in der Küche zu verschwinden.
„Er kann eigentlich
unmöglich dort sein, ich war überhaupt nicht in der Küche!”
Sie durchwühlte die Garderobe, riss einige der wunderhübschen
Hutkreationen
der Queen zu Boden, die mehrmals ein entrüstetes „Aber Edelgunde”
ausstieß; schließlich verschwand die Lady wieder im Bad. Die versammelte
Festgemeinde sah sich ratlos an. Ihre in das Hasten eingeworfenen
Frageversuche prallten wirkungslos an der verbissen die Räume
durchwirbelnden Lady ab.
Schließlich versperrte die Queen Lady Edelgunde den Weg
und nagelte sie damit fest:
„Was fehlt dir denn, Liebes, dass du uns alle warten lässt und durch die
Zimmer hetzt, wie die wilde Jagd?” fragte die Queen.
„Das Wichtigste von allem - mein Nüsternpuder! Ich bin mir ab-so-lut sicher,
dass ich ihn an seinen Platz gelegt habe!” Lady Edelgunde hatte die Queen
soweit zur Seite geschoben, dass sie die Übrigen mit funkelnden Augen
mustern konnte. „Wer hat ihn genommen?”
„Ich benutze ausschließlich meinen. Mit Nüsternpuder bin ich sehr
eigen” bemerkte die Queen würdevoll.
„Der Chef hat heute eine so matt-blasse Nase” flüsterte Sir Quirin dem
King so laut zu, dass alle es hören mussten.
Lady Edelgunde versah den Sir mit einem tödlichen Blick. „Das ist kein
Spaß!” sagte sie eisig. „Also? Niemand? - Dann nehme ich an der Bescherung
nicht teil, nicht ohne meinen Nüsternpuder!”
Lady Edelgunde wandte sich um und stolzierte würdig-gekränkten Schrittes
ins Wohnzimmer.
Die Gesellschaft schwankte zwischen Belustigung und Ungeduld. Solch ein
Theater wegen eines Nüsternpuders - du meine Güte! Doch alles Zureden
half nichts, Lady Edelgunde hatte auf stur geschaltet.
„Lass uns zusammen ins Bad gehen” sagte das Christkind mit
sanfter Stimme. Dem Kindl konnte sich nicht einmal der Zorn der Lady
verschließen. Zumal es sich nur ums Bad und nicht ums Bescherungszimmmer
drehte. Nach kurzer Zeit erschienen beide wieder, Lady Edelgunde mit vornehm
matten Nüstern, doch immer noch sehr reserviert.
„Dann also los!” Der Weihnachtsmann steckte den Schlüssel zum Arbeitszimmer
ins Schloss, sperrte auf und öffnete die Tür.
„Die Kerzen!”
Sogar das Christkind hatte in der Aufregung um die glänzende Nase
vergessen, die Kerzen wieder zu löschen. Die weit herabgebrannten Kerzen
verstrahlten mehr ein diskretes Funkeln, als ein helles Strahlen. Um so mehr
wurden die Blicke aller von einem Gegenstand angezogen, dessen Lichtreflexe
den Raum in ein metallisch-blaues Licht tauchte.
„Eine Dampfmaschine!” strahlte der Sir. „Mit einem Sägewerk, einer Schmiede
und sogar einem richtig rauchenden Schlot!”
Ein überglücklicher Sir stand fasziniert, sog all die Bewegung und die
Geräusche in sich ein, die sein lange gehegter und nun erfüllter Wunsch
hervorbrachte. Sanft und weiß wie Schnee flirrte der Rauch herunter auf das
Dach der Fabrikhalle und das sie umgebende Terrain.
„Aber das ist ...” Lady Edelgunde hatte schon einige Male die Luft tief
eingesogen; nun durchquerte sie mit zwei Riesenschritten die Distanz
zwischen Tür und Dampfmaschine, drehte lieblos den Kamin aus seiner
Verankerung und brachte ihn zum Absturz. „... mein Nüsternpuder! Ich habe es
doch gerochen. Mein Nüsternpuder wird hier durch den Kamin gejagt! Das ist
ja un-ge-heu-er-lich!”
Sie senkte langsam ihren Blick in die blinzelnden Augen des
Weihnachtsmanns, ein Vorwurf gewordenes Adelshaupt.
„Dein Nüsternpuder? Ach - das ist also ein Nüsternpuder.
Ich dachte es sei Faschingspuder vom letzten Jahr.
Du musst einem armen, alten Mann schon verzeihen, dass er sich mit all den
weiblichen Renovierungsmitteln nicht so gut auskennt. Zumal der Puder ganz
hinten stand, und so aussah, als werde er schon seit ewigen Zeiten nicht
mehr verwendet.”
Der Weihnachtsmann präsentierte das Bild der kompletten
männlichen Unschuld und Unwissenheit. Womit er Lady Edelgunde keineswegs
besänftigte:
„Der Puder stand keineswegs ganz hinten - er stand ganz vorn!”
„Aber, Edelgunde!” rief der Weihnachtsmann verblüfft. „Seit wann kannst du
denn zwischen vorn und hinten unterscheiden?”
Lady Edelgunde sah in die grinsenden Gesichter der Übrigen, überlegte
kurz, ob sie eingeschnappt sein solle, und gab dann auf:
„Okay - das war ein ganz schön übles Revanchefoul. Warte nur bis zur
nächsten Bescherung!”
„Schöne Weihnachten, Lady. Das ist vom Christkind und von mir. Das Kindl
hat mich ein wenig beraten.”
Lady Edelgunde verabreichte dem Weihnachtsmann einen zartfühlenden
Nasenstüber, als sie die edlen Kosmetika (natürlich inklusive
Nüsternpuder) ausgepackt hatte, und raunte ihm ins Ohr „Aber ein Schuft
bist du trotzdem!”
„Danke, gleichfalls!” erwiderte der Weihnachtsmann, „Auch wenn dein
Augenaufschlag noch so unschuldsvoll ist!”
Kili Riethmayer
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