Vorbemerkung: Inzwischen sind der Weihnachtsmann,
das (Christ)Kindl und die vier Rentiere fast schon eine Institution im
Adventskalender. Natürlich umgeben den Weihnachtsmann keine "profanen"
Rentiere, er wird von "Adelshäuptern" begleitet, die sehr menschliche Züge
besitzen: der Queen, King Irenäus, Lady Edelgunde und Sir Quirin.
Das Weihnachtsessen
„Herrschaften” rief der Weihnachtsmann nach Abschluss der Bescherung,
„Geschafft für dieses Jahr - ging
wirklich prächtig!” Er rieb sich vergnügt die Hände. „Und weil alles
so gut geklappt hat, gibt es morgen abend ein richtiges Festessen!”
„Kochst du selbst?” fragte die Queen betont neutral.
„Ja, ich koche selbst! ,Mann am Herd - Goldes wert', oder wie das Sprichwort
lautet.”
„Hieß das nicht: ,Steht am Herd der Weihnachtsmann - ruf den
Pizza-Service an'?” rezitierte Sir Quirin.
„Was ist - wollt ihr, dass ich uns ein Festmahl bereite, oder nicht?”
„Wir wollen!” rief der Chor.
„Na also. Ich hatte an etwas richtig Deftiges gedacht.” Man sah es dem
rot-rund-fröhlichen Gesicht des Weihnachtsmanns an, dass er den ersten
Bissen bereits im Mund zergehen ließ. „Wie wär's mit Spanferkel und
Knödel?”
„So etwas Schweres am Abend - bitte!” sagte die Queen pikiert. „Außerdem
esse ich kein Fleisch.”
Das Spanferkel zog sich aus dem Munde des Weihnachtsmanns zurück. „Stimmt,
das hatte ich vergessen. Dann etwas anderes.” Denkfalten liefen als kurze
Wellen über seine Stirn - dann herrschte wieder Windstille, ein neuer
Einfall war geboren. Mit seinen Händen zeichnete der Weihnachtsmann die
Konturen eines ordentlich großen Fisches in die Luft: „Fischfondue! Einige
leckere, feste Fischsorten, knackiges Gemüse, pikante Saucen dazu,
gemütlich, langes Tafeln - herrlich!”
„Auf gar keinen Fall!” rief Lady Edelgunde. „Da muffelt das Wohnzimmer
hinterher noch tagelang nach Fisch. Eine Tortur für meine empfindliche Nase.
Zudem passt Fisch überhaupt nicht zu meinem neuen Parfum.
Ihr müsst unbedingt einmal daran riechen!” Offensichtlich waren alle
Versammelten der Meinung, dass ,einmal' auch noch später war, woraufhin
Lady Edelgunde ihr Flacon mit einem verächtlichen „Bitte, dann eben
nicht!”
wieder schloss. „Wegen mir hätte es das Spanferkel ruhig geben dürfen.”
„Wir wollen heute, am Weihnachtsabend, keinen Streit beginnen” sagte der
Weihnachtsmann, „Mir ist bereits etwas Neues eingefallen - Tacos. Da kann
sich jeder die Maismehlschalen mit dem füllen, was er mag: Grüner Salat,
Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Hackfleisch, Käse, und, und, und ...”
„... und eine Mordsschweinerei ist es auch” fiel King Irenäus ein. „Ich glaube
nicht, dass dies meine Vorstellungen von einem gepflegten Weihnachtsessen
trifft. Was ist eure Meinung?”
„Sicher nicht verkehrt - ich denke auch, etwas mit Tafelsilber Essbares
wäre angebrachter.” Auch wenn ihm mehr an gutem Essen als an guten Esssitten
lag: So direkt als Adelshaupt angesprochen, stimmte Sir Quirin
dem King zu.
„An Weihnachten rohe Zwiebeln!” die Queen schüttelte sich, als ob das
Wohnzimmer bis unter die Decke mit den Zwiebelgerüchen angefüllt sei.
„Möchte vielleicht jetzt jemand an meinem Parfum riechen?”
„Und wenn ich daran denke, woher wohl das Rindfleisch im Hack kommen mag -
ich danke!”
„Ihr könnt mich mal gerne haben!” rief der Weihnachtsmann mit zwar noch
rot-rundem, jedoch zornbebendem statt fröhlichem Gesicht. „Ernährt euch
doch von Edelgundes Parfum!”
„Lady Edelgunde - soviel Etikette muss sein!” rief der Chor.
Der Weihnachtsmann riss die Flurtür auf und warf sie donnernd
hinter sich ins Schloss.
„Ja - aber was hat er denn?” tönten verblüfft die Adelshäupter.
Das Christkind sagte nichts. Es verließ samt seiner Wolke leise das
Wohnzimmer. Es hatte das Gefühl, dass der Weihnachtsmann seine Gesellschaft
brauchte.
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Am nächsten Tag ließen sich sowohl das Christkind, als auch der
Weihnachtsmann auffallend lange nicht im Wohnzimmer blicken. Die
Adelshäupter, die das schlechte Gewissen plagte, getrauten sich ihrerseits
nicht, Nachforschungen anzustellen.
„Er wird doch nicht ernsthaft verstimmt sein?”
„Seine Meinung wird man wohl noch kundtun dürfen!”
„Außerdem war die Kritik sehr maßvoll, wenn nicht sogar konstruktiv.
Brrr, wenn ich nur an die rohen Zwiebeln denke!”
„Möchte vielleicht jemand an meinem Parfum riechen?”
Auch wenn sie sich gelassen gaben, die Adelshäupter waren
doch sehr beunruhigt. Der Nachmittag war schon fortgeschritten,
als die Tür zum Flur
aufging, und das Christkind hereinkam, mit einem weißen Damasttischtuch in
Händen.
„Ist der Chef noch sauer?” fragte die Queen vorsichtig.
„Sauer? Warum? Er ist bester Laune und zudem bald mit dem Kochen fertig.”
„Was gibt's denn?” Acht Augen schauten hungrig auf das Christkind.
„Wird nicht verraten. Nur noch ein bisschen Geduld, meine Herrschaften.
Außerdem schickt sich Neugier nicht für blaublütige Wesen.”
„Wir wollten lediglich höflich sein!” Lady Edelgunde reckte ihre Nase vornehm
in die Höhe.
Das Christkind ließ sich zum Kummer der Adelshäupter auch durch weitere
Höflichkeiten nicht zu einer Menu-Auskunft erweichen,
während es den Tisch mit silbernen
Kerzenleuchtern und Tannenreisig schmückte,
das Edelporzellan, die Servietten und das schwere Tafelbesteck drapierte.
„Zufrieden?” fragte das Christkind, und sah den King an.
„Wunder-, wunderschön!” sagte der in königlicher Großmut gnädig.
Schließlich streckte ein strahlender Weihnachtsmann seinen Kopf durch die
Tür und rief: „Zu Tisch, meine Herrschaften, es wird sogleich
aufgetragen!”
Die Adelshäupter setzten sich erwartungsvoll. „Ist ihm also doch noch etwas
Festliches eingefallen” raunte King Irenäus Sir Quirin zu, und zeigte in
einer ausladenden Geste auf die prächtige Tafel.
Während das Christkind noch die Getränke eingoss, erschien der Weihnachtsmann mit
einer großen Schüssel, die er in der Mitte des Festtisches abstellte.
„Das wär's!”
„Oh!” sagte Lady Edelgunde und schnupperte. Sie beließ es bei diesem
inhaltsreichen Kommentar, denn nicht die dezentestete Duftnote entstieg
der geschlossenen Schüssel.
„Alles?” fragte die Queen und schob ihren Teller heran, da es in ihrer Position
selbstverständlich war, als erste bedient zu werden.
„Alles!” sagte der Weihnachtsmann, der, mit einem großen Vorlegelöffel
in der Hand, am Tischende stand. Er nahm den Deckel der Schüssel ab.
„Enthält alles, was man für eine gesunde Ernährung braucht und ist
absolut exotisch!”
Die Adelshäupter blickten auf die weißlich-graue Masse, die sich in der
Schüssel, und nach und nach auf ihren Tellern breit machte.
„Wir haben ausführlich in der Küche probiert - abgeschmeckt.” sagte der
Weihnachtsmann erklärend, als er die fragenden Blicke der Adelshäupter auf die
winzigen Portionen sah, die er auf den Teller des Christkinds und seinen
eigenen legte. „So, einen guten Appetit!”
Nach der langen Wartezeit zierten sich die Adelshäupter nicht
vornehm, nahmen eine ordentliche Portion auf die Gabel und verstauten
die gesunde Exotik
in ihren Mündern. Anschließend herrschte lange Stille.
„Schmeckt's?” fragte der Weihnachtsmann.
Drei Häupter nickten, denn sie
konnten es einfach nicht schaffen, die störrische Masse aus dem Mund in den
Hals zu
befördern; sie schien mit ebensovielen Saugnäpfen ausgestattet zu sein,
wie ein ausgewachsener Krake. Lediglich der unbändige Appetit des Sirs und
sein außerordentliches Schlingvermögen schafften es, den Klops
hinterzuwürgen.
„Was ist es?” fragte er mit großen, ungläubigen Augen.
„Etwas ganz besonderes: Tsampa. Wertvoller Hirsebrei, von dem sich etwa die
Mönche in Ladakh über Monate hinweg ernähren. Enthält praktisch alles,
was der Mensch - ich meine: die Kreatur - benötigt. Dazu fleisch- und
geruchlos. Ein echtes, vornehmes Festessen, für das ihr weit laufen könnt,
bis ihr es wieder auf einer Tafel findet.”
„Kann ich mir vorstellen” sagte der King, dem es inzwischen ebenfalls
gelungen war, seinen Tsampa-Kloß hinunterzuwürgen.
„Exzellent. Nach den vorweihnachtlichen Naschereien fühle ich mich nur
etwas übersättigt!”
Die Queen schob wortlos dem Christkind ihr Glas zum Nachfüllen hin, und
versuchte sehr unvornehm ihren vollen Mund durch Verwässern des wertvollen
Speisekloppses in den Normalzustand rückzuführen.
Lady Edelgunde murmelte „Entschuldigt, mein Make Up”, und enteilte
mit aufgedunsener Wange ins Badezimmer.
„Möchte noch jemand nachhaben?” fragte der Weihnachtsmann erwartungsfroh.
„Vielen Danke - nein”
„Vorzüglich, doch leider ...!”
„Ein Gaumenschmeichel! Wenn nur meine Gewichtsprobleme nicht wären!”
„Ihr seid wirklich alle schon satt?” Der Weihnachtsmann schaute von einem
der stumm bejahenden Adelshäupter zum nächsten.
Auch Lady Edelgunde, der ganz offensichtlich neben der Make Up- auch eine
Wangenkorrektur gelungen war, schüttelte tief betrübt abwinkend den Kopf:
„Leider.”
„Schade!” sagte der Weihnachtsmann „Dann werden das Christkind und ich uns den
zweiten Gang teilen müssen. Wird eine harte Aufgabe.”
„Wird es - aber eine sehr angenehme” sagte das Christkind fröhlich.
Der Weihnachtsmann trug die Schüssel und die Vorspeisenteller ab.
„Es ist noch etwas übriggeblieben,
aber das können wir morgen weiteressen - Tsampa hat neben den anderen
Vorteilen auch die angenehme Seite, lange zu halten.”
Das Christkind war von
seiner Wolke gerutscht und hatte den Weihnachtsmann in die Küche
begleitet. Nun erschien es mit einer großen Schüssel wunderbar bunten,
knackigen Salats wieder, der Weihnachtsmann mit einer ordentlichen Pfanne
dampfender Käsespatzen. Er rieb sich vergnügt den Bauch.
„Komm, Kindl, reich mir deinen Teller!” Und mit einem besorgten Blick
auf die Rentiere fragte er: „Ich hoffe doch sehr, sie riechen nicht zu
stark?”
Die Adelshäupter schüttelten entsagend die Köpfe. Sie konnten die Augen nicht
von der lange Fäden ziehenden Spatzenportion nehmen, die der Weihnachtsmann
aus der Pfanne löste.
„Käsespatzen mit Zwiebelrostbraten - eines meiner Lieblingsessen!”
stöhnte King Irenäus sehnsüchtig-etikettelos.
„Ach, richtig” sagte das Christkind, „Beinahe hätten wir den
Zwiebelrostbraten in der Küche vergessen, ich hole ihn noch schnell!”
„Vorzüglich” lobte das Christkind, als es probiert hatte. „Ich glaube, ich
kann ewig davon essen! Ausgezeichnet. Wirklich schade, dass ihr schon satt
seid!”
„Ich denke, ich sollte wenigstens probieren - von den Spatzen und
dem Salat.” sagte die Queen. „Wo du dir soviel Mühe gegeben hast.” Sie schob
dem Weihnachtsmann ihren Speiseteller hin.
„Oh, zwing dich nicht” sagte der Weihnachtsmann. Er machte keinerlei
Anstalten, die Queen zu bedienen. „Ich habe ja schon ein wunderbares Lob
erhalten - das entschädigt reichlich für die Arbeit. Ich könnte es mir
nie verzeihen, wenn eines von euch Adelshäuptern unter einem unschönen
Völlegefühl leiden müsste!”
„Verdammt!” rief Sir Quirin. „Genug - ich habe einen Riesenhunger. Und ich
möchte mich für gestern abend entschuldigen. Das war einfach dämlich von
uns!” Er blickte die anderen Adelshäupter an.
„War es! 'tschuldigung!” bestätigten diese, und schoben ungehemmt ihre Teller
dem Weihnachtsmann zu.
„Schon vergessen!” strahlte dieser und lud ordentliche Portionen
auf die Teller. „Schmeckt gleich ganz anders, wenn alle mitessen! So, den
Rest stelle ich im Herd warm!” Er ließ die Flurtür weit
offenstehen, damit er alle Kommentare mitbekäme - schließlich
war er sehr stolz auf sein Essen.
„Vorzüglich!” - „Einfach herrlich!” - „Köstlich, diese Zwiebeln!”
Der Weihnachtsmann hatte sich kaum wieder ans Essen gemacht, da rief der
Sir, mit einem erstaunten Blick auf seinen leeren Teller: „Rutscht doch
ganz anders als Tsampa!”
Der Weihnachtsmann machte sich abermals auf in die Küche, kehrte
auf halbem Weg nochmals um, und streckte eine geballte Faust mit nach
oben gerecktem „Sieges”-Daumen in Richtung Christkind, bevor er endgültig
verschwand, um Nachschub für die leeren Teller zu holen.
„Ach - du steckst dahinter?!” Der Chor blickte entrüstet auf das
Christkind.
„Hinter was?” fragte das Kindl unschuldsvoll zurück. „Apropos, Lady
Edelgunde, könntest du mich vielleicht an deinem Parfum riechen lassen,
bis der Chef mit dem Essen zurück ist?”
Kili Riethmayer
Für den Fall, dass Ihnen die Erlebnisse von Weihnachtsmann & Co.
Spaß machen und Sie die Episoden der Jahre
verpasst haben, finden Sie diese unter den nachstehenden Links.
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010),
Schöne Bescherung (2011),
Die Überraschung (2012)
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