20. Dezember


Vorbemerkung: Inzwischen sind der Weihnachtsmann, das (Christ)Kindl und die vier Adelshäupter, seine Rentiere, schon eine Institution im Adventskalender. Doch dieses Jahr ist einiges anders, was die Besetzung betrifft ...


Aushilfskräfte

Der Weihnachtsmann marschierte ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf und ab, in dem ein frisch duftender Nadelbaum auf das nahe Fest hindeutete.
„Wo bleiben sie bloß, wo bleiben sie bloß?” Er blickte vom Kalender auf die Uhr, von der Uhr auf den Kalender. „Das können mir die Adelshäupter nicht antun! Sie können und dürfen nicht zu spät zur Weihnachtsfahrt kommen!”
Die Rentiere hatten drei Wochen zuvor unerträglich schlechte Laune geschoben, weil sie „doch schon seit ewiger Zeit” ihre lieben Verwandten besuchen wollten, und schon wieder fast ein Jahr vorüber war, „ohne dass sie dazugekommen wären”. Der Weihnachtsmann unterließ es, darauf hinzuweisen, dass die Adelshäupter den ganzen Sommer vergammelt hatten. Er unterließ es ebenso, sie daran zu erinnern, dass dies ein absoluter Un-Zeitpunkt sei. Unter erheblichem Bauchgrimmen und dem hoch-und-heiligen Versprechen, dass die Adelshäupter nur zwei Wochen wegblieben, entließ er sie auf ihre Reise in den hohen Norden.

Wie viele Personen, die vor wichtigen Ereignissen stehen, so suchte auch den Weihnachtsmann in der Adventszeit eine mit jedem Jahr steigende Nervosität heim - obwohl sich die Vorbereitungen stets in der gleichen Weise abspielten, obwohl sie eigentlich Routine waren. Und nun dies!
„Sie haben schon vier Tage überzogen. Nie wieder bekommen sie so kurz vor Weihnachten Urlaub. So schnöde sich über Versprechen hinwegzusetzen. Aber was will man vom Adel heutzutage noch erwarten. - Und wenn ihnen etwas passiert ist?” Die Stimme des Weihnachtsmanns schwenkte von Groll auf Besorgnis.
„Du weißt, wie stark es im Norden geschneit hat, sie kommen ganz einfach nicht durch zu uns. Es besteht kein Anlass zur Sorge!” beruhigte ihn das Christkind.
„Kein Anlass zur Sorge - ha!” polterte der Weihnachtsmann, „Und wenn sie nicht rechtzeitig zurück sind, dann ziehe ich den Schlitten wohl selbst?”
„Prima.” sagte das Christkind zustimmend.
„Prima?!”
„Nun, ich denke, dass ich mit dem Geschirranlegen schon zurecht kommen werde.”
Der Weihnachtsmann war im Augenblick derart feinsinnigen Bemerkungen nicht zugänglich. Mit finster zusammengezogenen Brauen fragte er das Christkind:
„Hast du vielleicht noch einen konstruktiveren Vorschlag?”
„Geh zu Bauer Jörgensen und frag ihn, ob er dir nicht vier von seinen Rindern leiht. Ihr seid doch gute Nachbarn.”
„Rinder - mit verkümmerten Hörnern, statt einem ausgewachsenen Geweih, mit Quadratschädeln, statt Adelshäuptern! Ein Weihnachtsschlitten, von vier Rindern gezogen, das ist ein Vorschlag!”
„Dann lass es!” sagte das Christkind und zog sich samt seiner Sitzwolke in die warme Ofenecke zurück. Es kannte den Weihnachtsmann lange genug, um vorherzusehen, was sich nun abspielen würde.

Der Weihnachtsmann schaute auf Uhr und Kalender, öffnete die Tür in den Flur, schritt durch das ohne die Adelshäupter so verlassen wirkende Wohnzimmer zu seinem Geschenkelager, durch dieses hindurch in die Garage. Der Schlitten war halb fertig gepackt. Vor lauter Ärger und Unruhe um die Adelshäupter, schaffte es der Weihnachtsmann einfach nicht, die restlichen Geschenke so aufzuladen, dass er sie bei der Ausfahrt in der richtigen Bescherungsreihenfolge vorfinden würde. Er fasste kurz die Deichsel des Schlittens und stellte sich daneben wie ein Rentier. Dann schüttelte er den Kopf, ging zurück ins Arbeitszimmer, nahm seine Teetasse auf, nur um festzustellen, dass diese - wie bei einem Dutzend vorhergehender Versuche - leer war, warf einen kritischen Blick auf das Kindl, das ihn jedoch überhaupt nicht zu beachten schien, und brummte in dessen Richtung „Ich gehe ein wenig frische Luft schnappen”. Woraufhin er erneut im Flur verschwand.

Das Christkind musste einige Zeit warten, bis der Weihnachtsmann wieder ins Zimmer kam, das Gesicht von der vielen frischen Luft gerötet. Ächzend zog er seine Stiefel aus, unübersehbar darauf wartend, befragt zu werden.
„Und?”
„Bauer Jörgensen leiht mir vier seiner Kühe!” sagte der Weihnachtsmann so stolz, als sei die Idee von ihm gekommen.
„Was hast du ihm denn erzählt, wofür du die Tiere brauchst?”
Natürlich wusste Bauer Jörgensen nicht, welch illustre Nachbarschaft sich neben seinem Hof befand. Gedanken hatte er sich hin und wieder gemacht, über den seltsamen Kauz mit einem Aussehen wie der Weihnachtsmann, der sich unproduktive Rentiere, statt eines Stalls voller Kühe hielt. Und über das kleine Mädchen, das den Nachbarn stets kurz vor Weihnachten besuchte und nicht zu wachsen schien. „Der Buckel!” hatte der Weihnachtsmann dem Nachbar so leise ins Ohr geraunt, als ob ein Heer von Spionen sie umstehen würde, statt einiger harmloser Stück Braunvieh. Bauer Jörgensen hatte mitleidvoll genickt. Ja, der stets von einem Cape verhüllte Buckel entstellte das so hübsche Geschöpf, das der Bauer stets nur für ein paar Augenblicke zu Gesicht bekam, bevor er bereits wieder im Haus verschwunden war.
„Ich habe ihm gesagt, dass ich die Rentiere an einen guten Bekannten ausgeliehen hätte, der sie vielleicht nicht rechtzeitig zurückbrächte. Und dass meine kleine Nichte an Weihnachten absolut unausstehlich wäre, wenn wir keine Schlittenfahrt machten!”
„Und dann hast du ihm gestanden, dass du absolut unausstehlich würdest, wenn du in der Vorweihnachtszeit keinen Glühwein bekommst?”
Der Weihnachtsmann ging eilig zu einem neutralen Thema über: „Stell dir vor, wie die Tiere heißen: Rosa, Franzi, Resl und Zenzi. Wie kann ein „Nordlicht” seinen Kühen bloß so bayerische Namen geben!”
„Oha!” sagte das Christkind „Vier Frauen - da geht's dir ja gut.”
„So ein Schmarrrrn!” sagte der Weihnachtsmann, mit echt bayerisch rollendem ,r'. Er verschwand schnell im Lager, um den Schlitten fertig zu packen.

Natürlich trat ein, was der Weihnachtsmann befürchtet hatte: Der gute Bekannte brachte die Rentiere nicht rechtzeitig zurück! Bärbeißig spannte der Weihnachtsmann Rosa, Franzi, Resl und Zenzi ein. Rosa, die Leitkuh, warf dem Weihnachtsmann einen bewundernden Blick aus ihren feuchten, großen, so mild-braunen Augen zu. Der alte Mann sah einfach hinreißend aus, mit seinem roten Gewand und dem Rauschebart.
„Du meine Güte!” sagte der Weihnachtsmann als er das Garagentor öffnete und die Kühe mit einem lauten „Hü!” aufforderte sich in Bewegung zu setzen. Ein Durcheinander von sechzehn Beinen schlingerte den vollgeladenen Schlitten mit knapper Not an der Verankerung des Garagentors vorbei. Das Christkind hatte alle Mühe den Geschenkeberg aufrecht zu erhalten. Blassen Gesichts wandte sich der Weihnachtsmann an das Kindl:
„Wie soll das nur gut gehen? Ich hoffe nur, du unterstützt mich!”
„Ich habe noch nie gemolken” antwortete das Christkind unverbindlich.
Der Weihnachtsmann drehte sich unwillig nach vorn. Das Gespann „glitt” über die Auffahrt des Gutes, wobei Rosa jede Gelegenheit nutzte, um dem wunderschönen Mann einen schmachtenden Blick zuzuwerfen.
„Sie mag dich!” sagte das Christkind.
Der Weihnachtsmann klatschte verzweifelt mit den Zügeln auf die Rücken seiner stolzen Renner, und schwor sich, die Adelshäupter nach ihrer Rückkehr eine Woche lang nicht anzusehen, für das, was sie ihm an diesem Abend antaten. Nur gut, dass der Schlitten bald abhob in den Luftraum, zu einem herrlichen Flug über das Land. Für Rosa entwickelte sich der Ausflug zu einer wahren Traumfahrt. Der Schnee, die herrliche Luft und der nahe Sternenhimmel bildeten eine hinreißende Kulisse für ihren Märchenprinzen, der sich in unfruchtbaren Lenkversuchen erging. Rosas feuchte Nase erstrahlte im klaren Mondlicht in einem überirdischen Funkeln. Der Weihnachtsmann hatte das Kindl schwer im Verdacht, für dieses Spektakel verantwortlich zu sein, doch er fühlte sich nicht in der Lage, etwas dazu zu äußern. ,Sie können ja nichts dafür, dass sie nicht die Adelshäupter sind!' sinnierte der Weihnachtsmann mit schlechtem Gewissen. Und da er fühlte, dass er etwas Nettes zu seinen vier Zugtieren sagen sollte, bemerkte er:
„Wenn wir den ersten Kamin sehen, dann stürzen wir uns hinunter. Ihr wisst schon, der Geschenke wegen!”
,Natürlich verstehen sie mich nicht.' dachte sich der Weihnachtsmann, aber der milde Ton sollte auch für die Kühe deutbar sein. Dann geschah alles so schnell, dass der Weihnachtsmann keine Zeit mehr fand, die Ereignisse in geringster Weise zu beeinflussen: Unter ihnen tauchte der Schlot einer in weihnachtlicher Ruhe liegenden Fabrik auf, Rosa schaute mit einem letzten ergebenen Blick zurück zum Weihnachtsmann. Dann zog sie ihre Schlittenbegleiterinnen und den Schlitten im Sturzflug auf die Kaminöffnung zu.
„Nein! Nicht!” brüllte der Weihnachtsmann verzweifelt und zog an den Zügeln. „Nur ich, nicht das ganze Ge...”
Da verfinsterte sich auch schon die Umwelt, denn Rosa und ihre Gespielinnen hatten die Öffnung erreicht. Schlitten samt Weihnachtsmann rumpelten hinunter in den gräulichen Schlund. Die wilde Fahrt dröhnte durch den Kamin, schlug an den Wänden an, schleuderte ungebremst den endlos langen Schornstein nach unten. Endlich fühlte der Weihnachtsmann, wie das Gespann auf dem Boden aufprallte und ins Ungewisse geschleudert wurde.
Der Weihnachtsmann war noch dabei, mühsam zu einiger Besinnung zurückzufinden, als helles Licht erstrahlte. Das Christkind stand neben dem Tor einer großen Werkshalle, die Hand am Lichtschalter. Der Weihnachtsmann konnte das Kindl nur undeutlich ausmachen, bei all dem Ruß, der aus dem Kamin nachströmte und ihn einhüllte. Es war ein Fiasko: Die vier Kühe, der Schlitten, die Geschenke und er selbst - soweit sich der Weihnachtsmann sehen konnte - waren überzogen mit einer klebrigen, dicken, schwarzglänzenden Rußschicht! Doch wenigstens schien alles heil zu sein! Und dort drüben, am Lichtschalter, stand das Christkind in seinem wunderbar weißen Gewand, und verstrahlte ein heiteres Lächeln!
„Darf ich fragen, wie es kommt, dass du nicht schwarz bist?” fragte der Weihnachtsmann spitz.
„Nun, irgendwer musste ja deine vehemente Fahrt zu einem guten Ende leiten - und das ließ sich außerhalb des Kamins wesentlich besser bewerkstelligen. Doch ich muss schon sagen: Eine deutliche Steigerung war das noch gegenüber letztem Jahr in La Paz! Alle Achtung, du bist der geborene Rennfahrer! Oder wäre im Moment vielleicht Schwarzfahrer zutreffender?”
„Es gibt Tage, an denen man sich frägt, ob man den richtigen Beruf gewählt hat” murmelte der Weihnachtsmann frustriert „Und was machen wir nun, mit dieser Bescherung?” Er deutete auf die verschmutzten Geschenkpapiere.
„Ich schlage vor, du klopfst den Ruß vorsichtig ab, und ich befördere die Geschenke per Luftpost. Ich fürchte, wir brauchen bis Ostern, wenn wir jeden Kamin auf diese Weise bereisen.”

Am nächsten Morgen machte sich der Weihnachtsmann schweren Schrittes und Herzens auf zu Bauer Jörgensen. Der, was sehr selten bei ihm geschah, erst einmal die Fassung verlor, als er auf das Klopfen seines Nachbarn die Tür öffnete.
„Schönes Fest!” rief der Weihnachtsmann, und versuchte mit seinem breiten Rücken dem Bauern den Blick auf seine Rinder zu versperren. „Hier habe ich Ihnen fürs Ausleihen ein paar Kleinigkeiten mitgebracht. Ich hoffe nur, Sie können sie gebrauchen und haben ein wenig Freude daran!”
„Aber die Tiere dort draußen ...” Bauer Jörgensen schraubte sich so hoch es ging auf seine Zehenspitzen, und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger über die Schulter des Weihnachtsmanns. „Die sind ja schwarz-braun gefleckt. Das sind doch nicht meine Kühe!”
„Oh, doch” erwiderte der Weihnachtsmann, „Alle vier: Rosa, Franzi, Resl und Zenzi - stimmt alleine schon von der Stückzahl her.”
„Meine Kühe sind aber Braunvieh!”
„Waren!” sagte der Weihnachtsmann geknickt. „Eigentlich wollte ich Ihnen alles vorher erklären, bevor Sie sie sehen. Doch vielleicht erzähle ich Ihnen die Geschichte, während Sie die Tiere in den Stall bringen. - Wir hatten einen kleinen Unfall auf der Ausfahrt, sind im hohen Schnee vom Weg abgekommen und in einem abgebrannten Holzkohlenmeiler gelandet. Alles war rabenschwarz hinterher, die Tiere, der Schlitten, das Kindl und ich. Den halben Morgen habe ich geschuftet, um das Zeug wieder wegzubekommen. Den Erfolg sehen Sie vor sich. Sind Sie mir schrecklich böse, oder können Sie mir noch einmal verzeihen?”
Der Weihnachtsmann trat nervös von einem Fuß auf den anderen, strich Rosa beruhigend über den Rücken, die mit ungeahnter Geschicklichkeit die Gelegenheit wahrnahm, diesem Teufelskerl mit dem unnachahmlichen Fahrstil einen warmen und gigantisch feuchten Kuss mitten ins Gesicht zu drücken.
„Ach was” sagte Bauer Jörgensen „Scheint ihnen ja nicht geschadet zu haben! Ist selten, dass Rosa jemanden ins Herz schließt. Jetzt unterscheiden sie sich wenigstens von meinen anderen Kühen! - Sie sollten mir eigentlich nichts mitbringen, doch wenn, dann bin ich auch neugierig.”
Er winkte den Weihnachtsmann in die Stube.

„Steffen ist ein phantastischer Kerl, er hat die Angelegenheit mit den Kühen einfach großartig aufgenommen!” Der Weihnachtsmann platzte mit dieser Meldung ins Arbeitszimmer, als verkünde er die Weihnachtsbotschaft.
„Oha” sagte das Christkind „Schaut fast so aus, als hättet ihr Brüderschaft getrunken - Klaus. War Rosa denn mit eingeschlossen?”

Kili Riethmayer

Für den Fall, dass Ihnen die Erlebnisse von Weihnachtsmann & Co. Spaß machen und Sie die Episoden der vergangenen Jahre verpasst haben, finden Sie diese unter den nachstehenden Links.
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010), Schöne Bescherung (2011), Die Überraschung (2012), Das Weihnachtsessen (2013)