LEO

19. Dezember ­2023

(Fortsetzung von gestern)

Eine melodische Bescherung - Teil 4

„Dein Auftritt – Spot an!“ Die Lady lächelte dem Sir huldvoll zu.

Das aufflammende Spotlicht tauchte ein ausladendes Schlagzeug auf der anderen Seite des Baums in helles Licht, das nur kurz vom herantänzelnden Sir gedämpft wurde.

„Eins, zwei, drei!“ Der Weihnachtsmann verstand überhaupt nichts mehr, als Edelgunde ihre Einsatzgebärde nicht zu Quirin, sondern zum Vorhang hin machte – das Fest erschien ihm heute mit noch mehr Wundern angereichert, als es bei ihnen ohnehin jedes Jahr der Fall war. Da ertönte auch schon Süßer die Glocken nie klingen in einer Fassung, wie sie die Welt noch nie vernommen hatte: Lady Edelgunde legte allen Schmelz in ihr Saitenspiel, das sie (oder vielleicht auch das Kindl) ihrem Instrument entlocken konnte, Sir Quirin streichelte sein Schlagzeug, um den Geigenklang mit seinem Beat nicht total zu übertönen, und über dem Duo erschallte ein himmlisches Glockenquartett.

„Vorhang auf – Gesang!“ Es war das erste Mal in all den Jahren und Jahrzehnten, die der Weihnachtsmann seine Adelshäupter kannte, dass er Edelgunde in einer derart gewaltigen Euphorie erlebte.

Die in Richtung von Edelgundes Einsatz aufgehängte Hälfte des Vorhangs, wurde von Geisterhand zur Seite gerafft und der Weihnachtsmann verfiel ein weiteres Mal an diesem Abend in Schnappatmung: Das Glockenquartett wurde von den neu ins Rampenlicht gerückten Rosa, Franzi, Resl und Zenzi, den vier Prachtsrindern von Nachbar Steffen, zelebriert. An deren Hälsen läuteten gar zierlich Himmelsglocken.

Dahinter stand ein Steffen, dem man deutlich ansah, dass er nicht wusste, wie es zu dem Auftritt gekommen war und wie ihm passierte. Nachdem die Glocken verklungen waren, spendeten sich Publikum und Orchester gegenseitig tosenden Beifall, der nicht enden wollende Zugaben hervorrief. Zusammen rockten sie Vom Himmel hoch sowie eine Stille Nacht, die den Weihnachtsmann dankbar sein ließ, dass der einzige Nachbar in Hördistanz unter ihnen weilte. Die Band harmonierte, als würden ihre Mitglieder schon seit Jahren zusammen auftreten.

Abendessen

Bis der King zwischen zwei Stücken mit einem fest vorgetragenen „Und zu essen gibt’s heute gar nichts?“ das Spektakel einem abrupten Ende zuführte. Die noch geschlossene Hälfte des Vorhangs flog zur Seite und dahinter zeigte sich eine lange, festlich gedeckte Tafel, die einige ungewöhnliche Zutaten enthielt, aber erst dadurch auch bei den glockenschwingenden Gästen keine Wünsche übrig ließ.

„Zwei – vier – sechs – acht – elf!“ Der Weihnachtsmann zählte vorsichtshalber noch ein zweites Mal die Gedecke auf dem langen Tisch. Steffen und meine prachtvollen Aushilfskräfte tafeln also auch mit.“ Er zuckte mit den Schultern. Das Kindl wird schon wissen, wie. Einfach unfassbar – gigantisch!“

Es wurde nicht nur für den Weihnachtsmann, es wurde für alle ein absolut gigantischer Abend. Nicht nur einmal flüsterte Steffen kopfschüttelnd dem neben ihm sitzenden Weihnachtsmann ins Ohr:

„Es tut mir leid, dass wir so hereingeplatzt sind, keine Ahnung wie das passieren konnte. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich müsse die lange verstaubten Glocken, die meine vier himmlisch läutenden Orchestermitglieder als Kälber getragen haben, herauskramen, sie ihnen umhängen und den Stall öffnen. Dann sind die vier zu euch hinübergetrabt und haben sich in euren Stall gedrängt. Was sollte ich machen: Ich musste hinterher. Gleich als wir im Stall – pardon: Saal – waren, knarzte das Türschloss und gleichzeitig gingen alle Lichter am Baum an – aber das weißt du ja selbst. Seit deinem Geständnis vergangenes Jahr, und erst recht seit die Lady und der Sir bei mir Unterricht nehmen, habe ich zwar weitgehend aufgehört, mich über dein Anwesen und seine Einwohner zu wundern, aber das kann doch unmöglich mit rechten Dingen zugehen, lieber Klaus?!“

„Ach, weißt du, Steffen, bei uns ist alles möglich.“, antwortete Klaus jedesmal. „Ich habe mich längst damit abgefunden, dass ich zum Glück nicht alles verstehen muss. Es hat etwas unheimlich beruhigendes, wenn man die Abläufe hin und wieder einer himmlischen Regie überlassen kann!“

Er strahlte gelöst vor sich hin und holte sich einen dicken, dampfenden Bratapfel von einer der Festplatten. Der Weihnachtsmann brauchte den Kopf nicht zu drehen, er wusste auch so, dass das Kindl mit seinem himmlischen Lächeln auf der Wolke schaukelte und so aussah, als hätte es mit dem allem nichts zu tun.

Text: © Kili Riethmayer
Bild: © Doris Lettmann

Für den Fall, dass Ihnen die Episode Spaß gemacht hat, finden Sie die Adelshäupter, den Weihnachtsmann und das Kindl unter den nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010), Schöne Bescherung (2011), Die Überraschung (2012), Das Weihnachtsessen (2013), Aushilfskräfte (2014), Der Herzenswunsch (2015), Die Panne (2016) (Teil 1), Die Panne (2016) (Teil 2), Glühwein (2017) (Teil 1), Glühwein (2017) (Teil 2), Entzückend! (2018) (Teil 1), Entzückend! (2018) (Teil 2), Freue dich! (2019) (Teil 1), Freue dich! (2019) (Teil 2), Kumpels (2022) (Teil 1), Kumpels (2022) (Teil 2)

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