Vorbemerkung: Das (Christ)Kindl, der Weihnachtsmann und seine vier
ganz besonderen Rentiere, die Adelshäupter, haben inzwischen einen festen Platz im LEO-Adventskalender gefunden — Verweise auf in früheren Jahren erschienene Episoden finden sich unten. In diesem Jahr stehen die Queen mit ihrem Faible für ausgefallene Hutkreationen und der Weihnachtsmann mit seinem Faible für den Glühwein des Weihnachtsmarkts im Mittelpunkt. Auf dem Weihnachtsmarkts begegnet er auch nach langer Zeit seinem Nachbarn Steffen wieder, der ihm vor Jahren mit einem Kuhgespann aushalf, als die Adelshäupter nicht rechtzeitig zum Fest aus ihrem Heimaturlaub zurückkehrten.
Der King, Lady Edelgunde und Sir Quirin hatten lange überlegt, womit
sie der Queen zu Weihnachten eine Freude bereiten könnten. Klar, es
bestand die eherne Abmachung unter den Adelshäuptern, dass man sich gegenseitig
nichts schenkte. Doch es wäre der absolute Affront gewesen, hätte sich
jemand an diese Abmachung gehalten. Lady Edelgunde gebar schließlich die
Idee, die den beiden Männern uneingeschränkten Beifall entlockte:
„Sollten wir ihr nicht eine Vitrine schenken, in der sie all ihre
entzückenden Hutkreationen das ganze Jahr über sichtbar vor Augen hat, statt
das erwählte Exemplar jedesmal verzweiflungsvoll aus dem Finster des Schranks
herauskramen zu müssen? Vermutlich würde das dem einen oder anderen
vergessenen Unikat zu neuem Glanz verhelfen und ihre Apanage ein wenig
schonen.”
„Wir würden unserer Queen die lange Wand des Wohnzimmers opfern?” Der
Tonfall des Sirs schwankte zwischen Frage und Aussage. „Bei der Menge an
Entzücken ...”
„Eine der Schmalseiten reicht, wenn die Vitrine bis zur Decke geht.”
„Es müsste ein ganz besonderes Stück sein, das unseren adeligen
Geschmack trifft.”
„Wir entwerfen und bauen die Vitrine selbst”, konstatierte der King lapidar.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der dieses
Prunkstück so fertigen kann, dass es unseren Vorstellungen und unserem
Geschmack gerecht wird.”
Eine Feststellung, die kaum Raum für Zweifel ließ, denn, wie sich in einigen
der früheren Episoden bereits zeigte, der Geschmack der Adelshäupter hatte
durchaus etwas Exquisites.
„Hat jemand auch einen Vorschlag, wann wir dieses Kleinod anfertigen sollen?”,
fragte Edelgunde skeptisch.
„Unsere Queen ist doch ständig um uns, wenn sie nicht gerade im Bad Hutprobe
hält.”
Unruhiges Schweigen hüllte die Häupter ein. Die Zeit für gute Einfälle
drängte, da die Überraschung, unter deren Ankündigung die Queen das Zimmer
vor einiger Zeit
verlassen hatte, jeden Augenblick eintreten konnte.
„Was meint ihr: Wenn wir einen genauen Entwurf anfertigen, den Weihnachtsmann
bitten, die nötigen Teile zu besorgen, und das Kindl, die Teile heimlich im
Zimmer des Chefs zusammenzusetzen? Das Kindl verfügt auch über die
Möglichkeiten, die Vitrine samt Baum und unseren Weihnachtsgeschenken während der Ausfahrt unauffällig
in unser Zimmer zu versetzen. Dass sich unser Zimmer mindestens so gut
für die Bescherung eignet wie das Zimmer vom Chef, darüber sind wir uns
wohl einig.”
In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Queen schwebte herein, mit einer
Rosa-Blau-Tüll-Straußenfedern-Ausgeburt auf ihrem edlen Haupt, die ganz Ascot
hätte erblassen lassen. Die Queen drehte sich lässig auf der Türschwelle,
um die drei Bewunderer an allen Aspekten ihrer Neuerwerbung teilhaben zu
lassen.
„Habe ich mir übers Internet bestellt. Ein ab-so-lu-tes Unikat. Ist es
nicht ab-so-lut entzückend?”
Das Trio nickte sich zu. Eine Zustimmung, die weniger der Eruptionswolke auf
dem Kopf der Queen galt als dem Vorschlag für Fertigung und Bescherung
der Vitrine.
„Und?!” Die Stimme der Queen hatte einen unüberhörbar frostigen
Unterton. „Kein Kommentar? Von niemandem?”
„Umwerfend” — „Erdrückend” — „Was ist es? Noch die Verpackung oder
bereits ...?”
Der Frost breitete sich aus der Rachenhöhle der Queen über ihre
Schläfenlappen in die Augenhöhlen hinein aus, gebar dort Blicke von
arktischer Kälte, die den Sir, von dem die letzte Bemerkung stammte,
mit voller Wucht trafen.
„War doch nur ein Scherz!”, stammelte der Sir, den die Eiszapfen nahezu
physisch erlegten.
„Es existieren anscheinend seeeehr unterschiedliche Vorstellungen von
Humor in diesem Raum. Von einem blaublütigen ,Sir' erwarte ich ein
anderes Niveau als das gerade gezeigte.”
„Jawohl, Milady, Verzeihung! Deine Neuerwerbung ist der ab-so-lu-te
Blickfang deiner einmaligen Sammlung. Es wäre der fantastische Höhepunkt der
diesjährigen Bescherung, wenn du sie an Heilig Abend zum Festmahl tragen
würdest.” Der Sir klang ernst.
Die arktischen Blicke schmolzen unter einer galoppierenden Klimaerwärmung,
der King und Lady Edelgunde erlitten im Gegenzug einen heftigen
Reizhusten-Anfall (wobei nicht von der Hand zu weisen war, dass es sich
eventuell auch um einen Reizhut-Anfall handeln mochte).
„Die trockene Heizungsluft”, japste der King. „Ich besorge uns etwas zu
trinken.”
„Mach das. Ihr entschuldigt mich kurz, ich muss eine Ablage für mein neues
modistisches Wunder suchen.” Die Queen stolzierte aus dem Zimmer.
„Bist du noch bei Sinnen?”, zischte Edelgunde den Sir an. „Diese Ausgeburt
hat sich mir bereits in den paar Minuten, die sie im Zimmer war, auf den Magen
geschlagen.”
„Dafür fertigst du den Entwurf der Vitrine an”, stimmte der King bei, der
mit einer hustenmildernden Karaffe Wasser über die Schwelle trat.
„Und wir meckern daran herum”, schloss die Lady mit maliziösem Lächeln.
Vom Flur tänzelten die Schritte der Queen heran.
Ungeachtet aller vorgespielten und realen zeitlichen Engpässe, machte sich der
Weihnachtsmann zwei Tage später zeitig am nächsten Morgen auf den Weg für
die Einkäufe. Der
Holzzuschnitt im Baumarkt war naturgemäß der Horror. Nicht nur, dass alle
Welt zu Weihnachten den Liebsten selbstgebastelte Vitrinen zu schenken
schien, nein, er musste sich auch noch die Bemerkungen gestresster
Werktätiger anhören: „Gibt's denn für Rentner keine andere Zeit zum
Einkaufen, als kurz vor dem Fest?” Gallig durchwühlte der Weihnachtsmann die
Sonderangebotsstände, während er auf den Zuschnitt der Vitrinenwände und
Einlegeböden wartete. Mehrere Kartons gefüllt mit Weihnachtsmännern, die er
als seinen Beitrag zum Geschenk erwühlte und deren Inhalt als Hutständer
für die diversen Kreationen in die Vitrine Einzug halten sollte, vermochten
seinen Groll nur mäßig zu mildern. Immerhin fand er genügend Zeit, die
Made in Taiwan-Schildchen von den Fußsockeln der Weihnachtsmänner
abzukratzen, bis er den Zuschnitt entgegennehmen konnte. So sahen seine
Gaben nahezu wie echte Erzgebirgserzeugnisse aus.
„Da wird das Kindl einen Spaß haben, bis es alles zusammengesetzt hat”,
murmelte der Weihnachtsmann vor sich hin, als er die ganze Pracht endlich im
Wagen verstaut hatte. Ein schlechtes Gewissen wegen der großen
Limousine, die er fuhr, hatte er angesichts des gut gefüllten Stauraums
jedenfalls nicht mehr. Dabei fehlten noch die vorausschauend bereits am Vortag
georderten Scheiben. „Schnell noch zum Glaser und dann auf zum
Weihnachtsmarkt.”
Text: ©Kili Riethmayer
Für den Fall, dass Ihnen die Episode Spaß gemacht hat, finden sind
die Adelshäupter, den Weihnachtsmann und das Kindl unter den
nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010),
Schöne Bescherung (2011),
Die Überraschung (2012),
Das Weihnachtsessen (2013),
Aushilfskräfte (2014),
Der Herzenswunsch (2015),
Die Panne (2016) (Teil 1),
Die Panne (2016) (Teil 2),
Glühwein (2017) (Teil 1),
Glühwein (2017) (Teil 2)