Fortsetzung von gestern
„War's schön mit Steffen?”, hatte das Kindl am kommenden Morgen leise den
sichtlich verkaterten Weihnachtsmann angesprochen. Sein Nicken zog eine
schmerzliche Grimasse nach sich. Woher wusste das Kindl, dass er Steffen
getroffen hatte und dieses Treffen die Ursache für seinen derzeitigen
Zustand war? In seinem nur vorsichtig einsetzbaren Denkapparat bildete sich
der Verdacht, dass das Treffen mit Steffen vielleicht nicht auf reinem Zufall
beruht hatte, sondern vom Christkind als Therapiemaßnahme gegen den
ungeheuren Stress herbeigeführt worden war.
„Der Wagen ...?”
„... hat seinen Weg per Autopilot heim gefunden. Leg dich noch ein wenig
hin, wird schon alles rechtzeitig fertig.”
„Danke.” Die Unterstützung der natürlichen menschlichen Schwächen durch
übernatürliche himmlische Stärken ließ
eine vorsichtig dosierte Dankbarkeitswallung im Weihnachtsmann aufsteigen:
Wie schön, dass alles rechtzeitig fertig würde!
Was es schließlich auch tat.
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Die Ausfahrt war beendet, der Schnee abgeschüttelt, die Neugier greifbar.
„Dieses Mal darfst du zuerst.” Der Weihnachtsmann schob die Queen
auf die Tür des Bescherungszimmers zu. Und da standen die beiden. Ein
verdutzter Gesichtsausdruck machte sich unübersehbar bei ihnen breit, als
weder die Glocke hinter, noch das Drehen des Schlüssels in der Tür
ertönte.
„Überraschung!”, röhrten King, Lady und Sir fröhlich und lenkten die
Queen auf ihr eigenes Zimmer um. Aus dem die Glocke ertönte, in dessen
Türschloss sich quietschend der Schlüssel drehte. Lady Edelgunde stieß
die Tür auf und schob die Queen sanft ins Zimmer.
„Alter ...”, fügte sie mit dem liebenswürdigsten aller Lächeln
hinzu. Die Queen hielt abrupt dem Drängen der Männer stand und wandte ihren
Kopf so ruckartig der Lady zu, wie es das sensible Hutwunder auf ihrem
Haupt zuließ.
„... Verdienst und Würde zuerst.” Es lag ein anhimmelndes Schmachten in
den Augen von Lady Edelgunde, wie es nur die Kugelaugen des weiblichen
Rentier-Hochadels hervorzubringen vermögen.
Die Kerzen des Weihnachtsbaums blendeten die Augen der Queen. Doch dann, nach
kurzem Blinzeln, zog eine Vitrinenkreation ihre Blicke in den Bann, die die
nördliche Seitenwand luftig ausfüllte und deren Deko in mehr Farben funkelte,
als sie der Regenbogen bereithält. Sämtlicher Zierrat, den
der Weihnachtsmann besorgt hatte, war vom
Kindl auf den Profilleisten aufgebracht worden, die wenigen
Hutständer-Weihnachtsmänner, die
nicht von
Entzücklichkeiten bedeckt waren, verbanden sich mit Letzteren
zu einem quasi überirdischen Kunstwerk. Die Mitte der Vitrine bildete ein
Neo-Renaissancespiegel, dessen Größe auch einem sowohl behüteten als auch
geweihten Adels-Haupt gewachsen war,
und darunter gierte ein goldbetuchter Bischof ganz offenkundig nach einer
neuen Kopfbedeckung.
„Für meine neue,
ab-so-lut ultimative Kreation?” Die Queen deutete
auf den sparsam bemützten Bischof. Die Schenkenden
nickten synchron. „Es ist ... es ist das schönste Geschenk, das ihr mir je
gemacht habt.”

„Das achte Weltwunder. Das Weltwunder des Geschmacks.” Lady Edelgunde
betupfte ihre feuchten Augen.
„Wie konntest du nur so eine Monstrosität herstellen?”, flüsterte der
Weihnachtsmann dem Kindl ins Ohr.
„Oh, das war überhaupt kein Problem”, antwortete das Kindl unschuldig.
„Plan und Materialien waren ja vorgegeben, hast du nicht selbst alles
besorgt? Ich finde die Vitrine in ihrer Art durchaus einmalig.
Vielleicht hast du nur einen zu proletischen Geschmack?”
Mitten in die Schwärmereien der Adelshäupter mischte sich ein
verheißungsvoller Duft aus der Küche.
„Zu Tisch, zu Tisch, liebe Adelshäupter, sonst wird die Ente schwarz. Die
restlichen Geschenke müssen bis nach dem Essen warten.”
Wie üblich nahmen das Kindl und der Weihnachtsmann die Schmalseiten des
Tisches ein, die
Adelshäupter nahmen nach „katholischer” Sitzordnung Platz, Männlein auf der
einen, Weiblein auf der anderen Breitseite. Der Weihnachtsmann trug die
Schüsseln und Platten mit Ente, Preiselbeeren, Birnen, Knödeln und Kraut
herein, das Kindl verteilte die Köstlichkeiten auf die Teller.
„Und für dich als Vegetarierin, liebe Queen, ein federleichtes, raffiniert
gewürztes Austernpilze-Gratin.” Das Kindl konnte es sich nicht verkneifen,
das federleichte Gratin aus der Küche hereinschweben und auf dem Teller der
Queen landen zu lassen.
„Wie im Schlaraffenland”, seufzte King Irenäus beglückt.
„Mag sein. Aber nicht wie im Paradies.” Lady Edelgunde schob ein weiteres
Mal mäßig unauffällig Teile der Internetkreation beiseite, die bei jeder
Kopfbewegung der Queen
über Edelgundes Ohren, Nase oder Augen strichen. „Meinst du nicht, die Vitrine
würde noch phantastischer aussehen”, wandte sie sich an die Queen, „wenn dein
neuestes Kunstwerk die Lücke füllte?”
„Wie recht du hast, Edelgunde”, pflichtete die Queen ihr wehmutsvoll bei.
„Aber Quirin hat sich so sehr gewünscht, dass ich sie zum Weihnachtsessen
trage. Nach dem Essen dann.”
Lady Edelgunde warf dem Sir einen giftigen Blick zu.
„Ist dir was, Liebe? Du solltest nicht so verspannt dreinblicken, Edelgunde,
das wirkt unvorteilhaft, macht dich älter. Köstlich übrigens, dein Essen,
lieber Weihnachtsmann.” Sir Quirin tupfte sich hingebungsvoll den Mund ab,
sein breites Grinsen damit lediglich betonend.
Das Kindl und der Weihnachtsmann hatten alle, sozusagen, Münder voll zu tun,
das Essensgespräch in friedliche Bahnen zu lenken. Doch schließlich taten
Ente, Knödel, Blaukraut und Gratin ihre Wirkung, genüssliches Loben ging in
genüssliches Stöhnen über. Das Kindl griff in seine Wolke und zog das
Geschenk für den Weihnachtsmann daraus hervor:
„Nochmals ein schönes Weihnachtsfest, lieber Weihnachtsmann — ich denke, der
Zeitpunkt ist gekommen, an dem du es auspacken solltest.”
Der Weihnachtsmann löste vorsichtig die Klebestreifen (das Papier ließ sich
schließlich im kommenden Jahr wieder verwenden) des schweren Päckchens.
„Gigantisch — das richtige Geschenk zum richtigen Zeitpunkt! Eine
wunderschöne Flasche mit einem sicher wunderbaren Inhalt”, strahlte der
Weihnachtsmann, als er die Flasche Williamsgeist aus der sie beherbergenden
Schachtel entnahm. „Und dazu vier Adelshäuptergläser, einen
Weihnachtsmannhumpen und ein kleines Wolkenglas. Du auch?!”, staunte der
Weihnachtsmann das Kindl an.
„Die Ente”, meinte das Kindl entschuldigend. Fast hätte man meinen können,
sein Gesicht hätte eine zarte Rosé-Färbung angenommen.
Text: ©Kili Riethmayer
Bild: ©Doris Lettmann
Für den Fall, dass Ihnen die Episode Spaß gemacht hat, finden sind
die Adelshäupter, den Weihnachtsmann und das Kindl unter den
nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010),
Schöne Bescherung (2011),
Die Überraschung (2012),
Das Weihnachtsessen (2013),
Aushilfskräfte (2014),
Der Herzenswunsch (2015),
Die Panne (2016) (Teil 1),
Die Panne (2016) (Teil 2),
Glühwein (2017) (Teil 1),
Glühwein (2017) (Teil 2),
Entzückend! (2018) (Teil 1)