Dann kam die Ausfallstraße. Und an dieser die Polizeikontrolle. Eine hell
leuchtende Kelle winkte den Mann zur Seite. Ein unheimlich großer und ein
daneben lächerlich kleiner Polizist wurden im Licht der Scheinwerfer sichtbar.
,Der Große und der Kleine' – der Mann kurbelte langsam das Seitenfenster
herunter. Hätte er nicht trotz der inzwischen im Wagen herrschenden Wärme
seinen in die Stirn gerückten breitkrempigen Schlapphut getragen, der
Schweiß hätte verräterische Spuren auf seinem Gesicht gezeichnet. Die beiden
Polizisten beugten den Kopf zum Fenster herunter; eigentlich ja nur der Große,
der Kleine brauchte sich nicht zu bücken. Sie sogen schnüffelnd die aus
dem Auto strömende Luft ein.
„Oh!” Der Kleine verzog das Gesicht.
„Haben Sie etwas getrunken?”, brachte sich der Große ein und es war eher
eine Feststellung als eine Frage.
Der Mann wusste, dass er nicht viel reden sollte. Stumm deutete er mit dem
Daumen nach hinten zur Rückbank. Dann meinte er wortkarg: „Sie.”
Die Köpfe des Großen und des Kleinen wandten sich zum Dunkel
des Fonds. Hell schimmerndes Haar ergoss sich über einen enormen, den
Betrachtern zugewandten, unter einem Poncho verborgenen Buckel, bis fast
hinunter auf den Boden. Neben dem gigantischen Buckel zerfloss die übrige
Gestalt zart und zerbrechlich im Dämmer.
„Sie soll diese Alkoholatmosphäre erzeugen?”
fragte der Große ungläubig. „He, können Sie sich
– oder kannst du
dich – mal aufsetzen?”, fuhr er in Richtung auf den Buckel fort.
„Sch!”, machte der Mann und legte den Zeigefinger an die Lippen. „Es geht
ihr schlecht.” Nach einer kleinen Pause, in der er den heraufdrängenden
Glühwein hinunterschluckte, und in der ihn die Männer ungläubig musterten,
ergänzte er: „Ihr erstes Mal.”
„Hm”, meinte der Große und grinste, „wenn sie so viel
getrunken hat wie Sie”, wobei er beim zweiten Sie
dem Mann mit seinem dicken Finger fast auf die Nasenspitze tippte, „dann
wundert mich's nicht. Also dann wollen wir ... ”
„Darf ich?”, sagte der Kleine
„Was?”, fragte der Mann.
Aber da hatte der Kleine schon durch das offene Fenster
nach hinten gegriffen und den Buckel des schlafenden Mädchens berührt.
Gerade, dass der Arm des Kleinen lang genug war.
„Es bringt Glück, wenn man einen ... einen Buckel berührt”,
sagte der Kleine verlegen in das fragende Gesicht hinein.
Der Mann stutzte: Das Gesicht des Kleinen hatte plötzlich einen so
eigenartigen Ausdruck angenommen. Dann sagte der Kleine etwas wunderbares
zu dem Mann:
„Alles okay. Fahren Sie vorsichtig, dass Ihnen beiden nichts passiert.
Besonders nicht Ihrem Engel auf der Rückbank. Gute Fahrt!”
„He!”, rief der Große, „aber der Mann steht doch ... ”
„Lass gut sein – es kommt ganz deutlich von hinten.”
Der Mann murmelte so gut und würdevoll es ging, ein „Danke –
und frohes Fest!”, kurbelte das Fenster hinauf und setzte seinen Wagen
mit einem Hüpfen der Kupplung in Bewegung.
Der Große blickte dem Auto kopfschüttelnd nach:
„Ich sag's dir: Der Kerl hatte ordentlich einen sitzen, den
hätten wir nie weiterfahren lassen dürfen.”
„Sie haben's nicht mehr weit, nur noch bis zu dem Wald dort vorn.
–
Du hättest ihn fühlen sollen: Ganz weich war der Buckel, wie
ein Federkissen, wie Flügel. Schau nur: Eine Feder.”
„Quatsch, eine Schneeflocke wie alle anderen.”
„Es war eine Feder.” Der Kleine blickte auf seine Hand, auf der Flocken
zerschmolzen, dann auf den Boden; doch die Feder war in dem weißen Wirbel
nicht mehr auszumachen. Ein verträumter Blick glitt durch seinen Partner
hindurch, in eine Welt, die aus Wärme und Federn bestand.
„Los, heim. Dienstende.” Der Große hieb dem Kleinen auf die
Schultern. ,Das Mädel hat ihm ja restlos den Kopf verdreht.'
dachte er bei sich, ,Der ist ja völlig hinüber. Und das bei dem Buckel.
So kurz vor Weihnachten passieren doch die seltsamsten Dinge.'
Der Weihnachtsmann blickte kurz in den Rückspiegel, auf die
gerade noch im Schneegestöber ausmachbaren Gestalten; dann konzentrierte er
sich auf die Fahrbahn. Halb ernüchtert brummelte er leise vor sich hin:
„Puh, das war knapp. Wenn ich vor der Bescherung nur nicht immer so aufgeregt
wäre. Mit all dem Trubel, den vielen Dingen, die man im Kopf behalten soll.
Dass auch alles klappt. Und dann diese Kälte. Und dieser Duft. Einmal
im Jahr. Aber das eine versprech ich dir: Nächstes Jahr trink' ich nur
alkoholfrei!”
„Ich hab's gehört”, gähnte das Christkind auf dem Rücksitz. „Was war
denn gerade los? Warum haben wir angehalten?”
„Ich denke, du schläfst?”, rief der Weihnachtsmann empört über
die Schulter. Er versuchte krampfhaft, sich eine passende Geschichte
bereitzulegen. Doch bevor er damit Erfolg hatte, war das Christkind schon
wieder eingeschlafen.
,Oh, Mist, nicht mal laut denken kann man, nach so einem harten
Tag.',
ging es dem Weihnachtsmann durch den Kopf. Er wusste genau, dass das
Christkind sich nächstes Jahr noch an das fahrlässige
Versprechen erinnern würde.
Text: ©Kili Riethmayer
Bild: ©Doris Lettmann
Für den Fall, dass Sie neugierig sind auf die Adelshäupter,
finden Sie diese, den Weihnachtsmann und das Kindl unter den
nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010),
Schöne Bescherung (2011),
Die Überraschung (2012),
Das Weihnachtsessen (2013),
Aushilfskräfte (2014),
Der Herzenswunsch (2015),
Die Panne (2016) (Teil 1),
Die Panne (2016) (Teil 2),
Glühwein (2017) (Teil 1)