Vorbemerkung: Es ist eigentlich die erste der Episoden um das (Christ)Kindl, den Weihnachtsmann und seine vier Rentiere, die Adelshäupter. Doch da letztere in dieser Episode nicht auftreten, haben sie das Erscheinen dieser Episode möglichst lange hinausgezögert. Verweise auf in früheren Jahren erschienene Episoden finden sich unten.
Der Mann mit dem schweren Fellmantel und das Kind mit dem langen goldenen Haar,
dem dünnen Poncho und den blassen Wangen zogen schon lange
über den Weihnachtsmarkt. Das Mädchen – oder war es ein Junge
mit sehr zarten Zügen? – wäre hübsch, nein: schön
gewesen, mit seinem engelhaften Gesicht, doch ein gewaltiger Buckel entstellte
es auf eine geradezu boshafte Weise. Müde zog es die Beine nach.
„Na, noch einen Glühwein für Sie und einen Saftpunsch für Ihre
Begleiterin?”
Die Budenbesitzerin legte alle gönnerhafte Güte, die ihr zur
Verführung stand, in ihre Stimme. Der Mann war dieser
Verführung nicht erst einmal erlegen. Und nicht nur an
diesem Stand. Ein gefüllter, dampfender Becher berührte
fast seine Lippen.
„Nur noch den einen”, erwiderte der Mann mit flatterndem Blick
und unsicherer Stimme. Der Blick floh schnell das Gesicht
des Mädchens und dessen helle Augen. „Es ist definitiv der letzte!”
Die Zunge hatte zu kämpfen, mit den schwierigen Worten.
„Das sagst du schon so lange.”
Oh, wenn das Mädchen nur weiter geredet hätte: Die Worte drangen
nur noch gedämpft ins Denken des Mannes, sie mussten zu viel
alkoholische Wärme und Turbulenzen durchdringen, bevor sie
anlangten. Der stille Vorwurf dagegen ...
Ganz langsam sagte der Mann zwischen köstlich klebrig
kleinen Schlucken: „Du weißt doch, es hat sich so viel
verändert seit letztem Jahr. Ich bin so schrecklich nervös
und die Wärme beruhigt so schön. Jedes Jahr wird es unendlich
viel mehr. Ich werde übermorgen nie alles schaffen, wenn ich mich heute
nicht gründlich umschaue, auf den neuen Plätzen, in den neuen
Straßen, ... ”
„... und vor allem hier, auf dem alten Weihnachtsmarkt.”
„Wir gehen!”, der Mann schlug auf die
Thekenbretter der Bude, dass die leeren Becher sprangen.
Die Gerüche und Lichter des Weihnachtsmarkts waren nur noch
erahnbar. Die beiden wirbelten die Flocken der dünnen Neuschneedecke
mit ihren Schritten auf, hielten schließlich vor einem alten, schwarzen
Herrschaftswagen.
„Und du kannst wirklich noch fahren?” Zweifel und Misstrauen
bildeten die Stimme des Mädchens.
„Kein Problem. Wenn du probiert hättest, wüsstest du, dass
der ganze Alkohol beim Heißmachen verfliegt.” Dass der
Mann das Schlüsselloch erst beim dritten Versuch fand,
beseitigte die Zweifel nicht unbedingt. Auch der Mann
spürte dies: „Furchtbar, wie früh es um diese Jahreszeit
dunkel wird. Und dazu noch die Schneeflocken.”
Das Mädchen huschte auf den Rücksitz und streckte
sich dort aus. „Bitte, stell die Heizung ganz groß.”
Noch bevor der Mann den Schlüssel im Zündschloss hatte, war
seine Begleiterin eingeschlafen. Hier, im Inneren des Wagens, ohne die
viele frische Luft, wurde dem Mann mit einem Mal schrecklich
übel. All der „verdunstete” Alkohol und die Süße stiegen
ihm unheildrohend in den Kopf.
(Fortsetzung im morgigen Türchen)
Text: ©Kili Riethmayer
Bild: ©Doris Lettmann
Für den Fall, dass Sie neugierig sind auf die Adelshäupter,
finden Sie diese, den Weihnachtsmann und das Kindl unter den
nachstehenden Links:
Eine denkwürdige Schlittenfahrt (2010),
Schöne Bescherung (2011),
Die Überraschung (2012),
Das Weihnachtsessen (2013),
Aushilfskräfte (2014),
Der Herzenswunsch (2015),
Die Panne (2016) (Teil 1),
Die Panne (2016) (Teil 2)