Der selbstsüchtige Riese - Ein Märchen von Oscar
Wilde (Auszüge)
... und so entschied er sich dafür, in sein eigenes Schloss
zurückzukehren. Als er dort ankam, sah er die Kinder in seinem Garten
spielen.
»Was macht ihr hier?«, schrie er mit äußerst mürrischer Stimme und
die Kinder liefen verängstigt davon.
»Mein eigener Garten ist immer noch mein eigener Garten«, sagte der
Riese, »das muss jeder einsehen, und ich werde niemals jemandem außer
mir selbst erlauben, darin zu spielen«.
***
Die einzigen, denen der Garten noch gefiel, waren der Schnee und der
Frost. »Der Frühling hat diesen Garten vergessen«, riefen sie
erfreut, »wir werden das ganze Jahr über hier bleiben«. Der Schnee
bedeckte das Gras mit seinem dicken weißen Mantel und der Frost ließ
alle Bäume silbern erscheinen.
***
»Ich glaube, nun kommt der Frühling wohl doch noch«, sagte der Riese,
sprang aus dem Bett und guckte nach draußen.
Und was sah er da?
Es war der wundervollste Anblick, den man sich denken konnte. Die
Kinder waren durch ein kleines Loch in der Mauer in den Garten
gekrochen und saßen nun auf den Zweigen der Bäume – in jedem Baum,
den er sehen konnte, ein kleines Kind. Und die Bäume waren so froh,
die Kinder endlich wieder bei sich zu haben, dass sie sich mit Blüten
schmückten und ihre Zweige gleich schützenden Händen über den Köpfen
der Kinder auf und ab bewegten.
***

Ob der Riese noch böse mit uns ist? (Kinder aus Isfahan, ©Erika Hennig)
Als der Riese das sah, wurde es ihm ganz warm um das Herz. »Wie
selbstsüchtig bin ich gewesen!«, sprach er reumütig zu sich selbst,
»jetzt verstehe ich, warum der Frühling nicht in meinen Garten kommen
wollte.«
***
Jahre vergingen und der Riese wurde ganz alt und schwach. Er konnte
nicht mehr im Garten spielen, und so saß er in einem riesigen
Lehnstuhl, sah den Kindern beim Spielen zu und erfreute sich an
seinem Garten. »Ich habe zwar viele herrliche Blumen, aber die Kinder
sind die schönsten von allen«, sagte er zu sich selbst.